Trauer nach Suizid – Ein Perspektivwechsel

Suizid ist eine Möglichkeit menschlichen Handelns
Suizid ist eine Form zu sterben

„Am Ende sind wir alle tot, ganz egal, wie wir gestorben sind.“

Ein Interview, in dem Chris Paul das sagte, hat mich sehr berührt und nachdenklich gemacht.

Chris Paul ist seit über 20 Jahren Fachfrau für erschwerte Trauerprozesse, Dozentin, Fachautorin, Trauerberaterin in eigener Praxis, Betroffene und Expertin für Trauer nach Suizid. Sie ist auch für mich eine beeindruckende und bedeutsame Lehrerin. 

 

Aus meiner eigenen Erfahrung heraus teile ich ihre Sicht und wage den Perspektivwechsel nun auch mit euch. 

Wandel der letzten 20 Jahre

Lange Zeit prägte das Stigma des Suizids den Trauerprozess sehr stark. Trauerwege haben sich in den letzten 20 Jahren unter anderem durch Initiativen, an denen Chris Paul mitwirkt, stark verändert.  

Trauernde denken und sagen heute nicht mehr: Ich bin Teil einer schlimmen, moralisch verwerflichen Katastrophe. Sie sehen sich einfach als Trauernde. Sicher, auf die Art des Todes hat der verstorbene Mensch mit Einfluss genommen. Aber es ist Trauer. Es ist Tod.

 

Das Stigma war und ist weder für Hinterbliebene nützlich noch für Menschen, die Suizidgedanken haben. Das ist aus Suizidforschung und Suizidprävention längst bekannt. Wir alle sind mal schwach, können depressive Episoden haben. Wir alle können mal den Gedanken haben nicht mehr leben zu wollen.
Chris Paul stellt dazu gerne die Fragen: Wer hat schon mal gedacht, er würde lieber nicht mehr leben? Wer denkt, es wäre vielleicht hilfreich das eigene Sterben zu beschleunigen, wenn man mal alt und krank ist? In ihren Vorträgen nicken auf die zweite Frage fast alle Menschen über 60.
Daran merkt man: Es ist eine Möglichkeit menschlichen Handelns.

Diese Denkweise und Offenheit ist hilfreich für Trauernde und für die, die zwischen Leben und Tod ringen. Denn keiner hat gerne diese schweren Gedanken! Damit ist viel Erschöpfung und Schmerz verbunden.

 

Vor 20 Jahren wurden Suizidhinterbliebene noch gemieden und haben darunter gelitten, so auch die Erfahrung von Chris Paul als Trauerbegleiterin. Da wurde schnell unterstellt, es müsse doch was gewesen sein. Heute ist der Wandel deutlich sichtbar: Zuneigung, Verständnis und Rücksichtnahme erfahren Trauernde nach Suizid selbstverständlich. Im dörflichen oder stark religiös geprägten Umfeld gibt es tendenziell noch mehr Vorurteile.

Warum - Schuld - Scham

Bei Hinterbliebenen liegen zunächst Fassungslosigkeit, Schock und die Warum-Frage oben auf. Bei Menschen, die lange Zeit psychisch schwer krank waren, und bei denen das Umfeld das miterlebt und gewusst hat – da passt das Narrativ (eher) zusammen. Es gibt aber auch Suizide aus kleinen Krisen heraus wie Liebeskummer oder Stress auf der Arbeit. Und es gibt Suizide, bei denen das Warum schlicht unbeantwortet bleibt. Gesunde Menschen wie du und ich können Psychosen bekommen, die sich innerhalb von zwei bis drei Monaten ganz schnell ausbreiten und die zum Suizid führen. Da hilft auch die stärkste Liebe nicht mehr. Im besten Fall hilft ein Medikament. Im Umgang mit suizidalen Menschen kommen wir an den Rand dessen, was wir noch aushalten können. Nach Tod durch Suizid reagieren wir darauf oft mit Schuld und Scham. Fassungslos versuchen wir die Frage zu beantworten, was eine Beziehung eigentlich kann, wenn die Liebe scheinbar nicht stark genug war, den geliebten Menschen zu halten. Es ist für Hinterbliebene oft eine wahnsinnige Verletzung der eigenen Integrität und des Vertrauens in die Welt. Scheinbar geht es bei allen anderen gut aus, trotz Krisen und Streit, was war bei mir? Schuld ist eine Antwort darauf. Scham auch: Da muss ja was bei mir sein, dass mir das passiert und allen anderen nicht.

 

Chris Paul betont, dass es wichtig ist uns klar zu machen, dass wir schwach sein dürfen. Wir dürfen krank sein. Und wir dürfen Menschen lieben, die schwach und krank sind – das sagt nichts Schlechtes über uns. Das sind allgemeine menschliche Phänomene.

 

Sie vertritt zudem den Ansatz der konstruktiven Schuldbearbeitung. Eine Antwort auf die Warum-Frage zu finden, hilft, um die Schuldgefühle zu verarbeiten. Ich muss das für mich selber verstehen – von außen geht es niemanden etwas an, weder das Warum noch das Wie. Am Warum arbeiten die meisten Suizidhinterbliebenen für sich drei bis fünf Jahre, um sich aus den Bruchstücken der Informationen, die sie haben, eine Geschichte erzählen zu können. Diese ist oft sehr persönlich. Das möchte man vielleicht niemandem oder zumindest nicht jedem sagen.

Das Umfeld muss das letztlich verstehen und Tod durch Suizid als eine Möglichkeit menschlichen Handelns begreifen lernen. Trauernde sind keine Antworten schuldig.

Bildquelle: pixabay

Ich bin Svenja,

die bewusst im Hier und Jetzt lebt, die Natur genießt und keine Pläne mehr verschiebt seit ihr Mann diese Welt verlassen hat.

Ich bin Wegbegleiterin und Mutmacherin, die Menschen in Trauer-, Trennungs- und Umbruchsphasen dabei begleitet wieder neu in ihre Lebendigkeit zu kommen.

 

Du bist in schweren Zeiten nicht alleine.

Ich gehe ein Stück des Weges mit dir.