Wie sich Trauer für mich anfühlt

Trauer & Freude

Warum schrieb ich euch gestern diesen kurzen Beitrag über die Hochzeit und meinen inneren Erinnerungssturm? Ich wollte einen Einblick in meinen Alltag geben und zeigen wie nah Trauer und Freude beieinander liegen können. Heute möchte ich daran anschließen und ausführlich darüber schreiben wie sich Trauer für mich anfühlt.
Übrigens: Ich habe das Kleid schließlich doch angezogen und die Feier war sehr schön 🙂

Meine Trauer

Ich kann nicht darüber schreiben wie sich DIE Trauer anfühlt. Das ist so unterschiedlich. Ich kann euch aber erzählen wie sich Trauer für mich anfühlt.

Seit dem Tod meines Mannes erlebe ich alles intensiver, die Geräusche, die Gerüche, die Farben, die Gespräche, die Liebe, die Freude, das Glück … und trotzdem fühlt sich manchmal alles auch nur unfassbar sinnlos, traurig, leer und grau an. Zwei Seiten einer Medaille. Manchmal fühle ich mich kraftlos, irgendwie alt oder schnell gealtert. Ich zumindest sehe mir die Spuren an, aber das ist ok. Es ist manchmal alles egal und gleichzeitig so bedeutungsvoll. Trauer fühlt sich in mir sehr ambivalent an. Im einen Moment will ich allein sein und gleich darauf fällt mir die Decke auf den Kopf und ich wünschte jemand würde mich in den Arm nehmen. Sie ist wie eine Art Gefühls-Achterbahn, voller Gegensätze und Widersprüche – oder sind es nicht doch sich perfekt ergänzende Puzzleteile? In meinem Lebensozean kommt sie in Wellen und Stürmen daher. Es gibt Hochs und Tiefs und dazwischen ruhige Tage.

Trauer & Lebendigkeit

Die Trauer lehrt mich das Leben – im Bewusstsein seiner Endlichkeit. Sie ist mein Weg ins Leben zurück. Ich vertage Träume nun erst recht nicht mehr auf irgendwann. Was mir jetzt wichtig ist, lebe ich auch hier und jetzt. Und wenn nicht, dann ist es auch nicht so wichtig. Meine Sicht auf vieles hat sich relativiert. Ich lebe bewusster und überlege mir, was wirklich wichtig ist, was in meinem Leben zählt. Ich bleibe bei mir und schaue mehr nach innen als nach außen.
Ich bin weniger perfektionistisch als früher. Dafür aber auch noch sensibler und feinfühliger. Oberflächlichkeit in Begegnungen und Gesprächen finde ich schwierig.

Ohne dich und doch mit dir

Die Trauer ist mein Weg ins Leben zurück, weil sie für mich als Hinterbliebene in dieser Welt wichtig ist. Nicht so sehr für meinen Mann, dessen Seele jetzt frei sein darf und dem es in einer anderen Welt sicher gut geht (woran ich fest glaube). Ich trauere um ihm, aber auch um alles, was mit seinem Tod mein Leben verlassen hat: Die gemeinsame Arbeit, unsere Träume, unsere Ideen, die gemeinsame Zukunft. Ich gehe „ohne dich und doch mit dir“ weiter und die Liebe und die Erinnerungen in mir, in meinem Herzen bleiben. Für immer.

Trauer verändert

Die Trauer hat mich verändert. Ich war besonders im ersten Jahr rückblickend nicht ich selbst. Ich hatte Blackouts und Gedächtnislücken, was ich vorher so nicht von mir kannte. Meine Grenzen waren mir oft nicht mehr bewusst und ich bin über sie hinweg gegangen. Ich war nicht bei mir, nicht in meiner Mitte. Mir war in den ersten Tagen kalt wie nie zuvor. Die Trauer ging mir an Blase und Nieren. Ich konnte oft kaum bis morgen denken und planen. Mein Zeitgefühl war wie weg. In Trauertiefs geht es mir heute immer noch so. Planen, sich verabreden, einen Alltag leben – all das war schwierig. Am Anfang habe ich eher versucht den Tag zu überleben als für eine Zukunft zu leben. Fragen nach meinen Plänen und zur Zukunft haben mich total überfordert.
Die scheinbar einfache Frage wie es mir geht, hat mich im ersten Jahr auch total überfordert. Ich habe mich relativ schnell getraut darauf zu antworten: Ich weiß es nicht. Ich wusste es in der ganzen Gefühls-Achterbahn wirklich nicht. Ich fragte mich, ob ich jemals wieder sagen kann, dass es mir gut geht. Ich antworte heute lieber, dass ich eine gute Phase habe, wenn dem so ist.
Gerade am Anfang war die Fassungslosigkeit groß und ich habe oft gedacht: Wie kann sich die Welt weiter drehen, wenn doch meine kleine Welt still steht?
Ich war komplett aus der Balance, aus dem Rhythmus, aus der Struktur, haltlos. Trauer kostet so viel Kraft und oft ist einfach alles zu viel. Ich frage mich immer wieder, wie ich den ganzen Alltag und alles nur vor seinem Tod geschafft habe.
Ich war andererseits von Anfang an sehr stark in meiner Intuition und habe viele gute Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen.

Die Kunst der richtigen Worte

Die „richtigen“ Worte zu finden fiel und fällt nicht nur meinem Umfeld schwer, auch ich suche oft nach den richtigen Worten. Sprache kommt bei dem Thema oft an die Grenzen und es gibt kaum die passenden Worte. Trotzdem finde ich es wichtig darüber zu reden.
Wer ähnliches erlebt hat, kann sich auch ohne große Worte verstehen. Das empfinde ich nach wie vor als sehr wohltuend.
Ich habe auch gelernt die Wortlosigkeit und Hilflosigkeit meines Umfelds anzunehmen und zu verstehen: Manche Menschen können oder wollen über das Thema Tod und Trauer nicht reden.
War es eigentlich in Ordnung, wenn ich schon bald wieder lachte und mich in manchen Momenten glücklich fühlte, trotz allem? Wenn ich nicht die traurige Witwe in schwarz war? Ich finde definitiv: Ja! Dank des lieben Umfelds und der Resonanz habe ich jedoch auch das erstmal in Frage gestellt und war verunsichert.
Das liebe Umfeld und die Gerüchteküche … das ist auch ein Thema für sich. In Bezug auf meine Trauer kann ich sagen, dass es mir komplett egal geworden ist, was andere reden. Ich lebe schließlich für mich, nicht für die anderen. Es kann auch keiner beurteilen wie es sich für mich anfühlt, das weiß nur ich. Die meisten waren nicht in einer ähnlichen Lebenssituation.

Trauer zulassen - aber wie?

Man hört und liest immer wieder, dass es so wichtig ist, die Trauer zuzulassen – aber ganz ehrlich, das ist leichter gesagt als getan! Ich habe natürlich lauter Ratgeber im Kopf und wüsste, was mir gut zu tun hätte. So ganz allgemein und vor dem Tod meines Mannes wusste ich das auch, das war beispielsweise Yoga, ein Spaziergang, Musik, ein gutes Buch. Aber es gab gefühlt einfach keine Skills, keinen Plan wie ich mit diesem unsäglichen Schmerz umgehen sollte, der mich wehklagen ließ. Ja, das Wort wehklagen habe ich nun verstanden; ich habe mich selbst vorher noch nie so weinen gehört! Um ehrlich zu sein, bin ich sicher nicht immer gut mit mir umgegangen in meiner Trauer. Aber ich bin immer wieder auf Kurs ins Leben zurück gekommen. Mit vieeeel Zeit, (Selbst)Liebe, Selbstfürsorge und Geduld. Die Krisen und Tiefs sind auch wichtig und normal, denke ich. Krise kommt übrigens von griechisch krinein = scheiden, trennen, auswählen, entscheiden. Jede Trauer-Krise hat mich etwas gelehrt, zu (Ent)Scheidungen geführt und mich gestärkt weiter gehen lassen. Mich vielleicht ein Stück reifer werden lassen. Mich immer wieder ein Stück ins Leben zurück gebracht.

In kurzen Un-Wörtern

Meine Trauer lässt sich in Kurzform in un-Wörtern beschreiben: In Adjektiven, die ganz gut auf den Punkt bringen wie ich in der Trauer war und wie sich Trauer für mich anfühlt:

unberechenbar
unsichtbar
unnahbar
unglücklich
unsortiert
unpünktlich
unfair
unkomplett
untröstlich
unfassbar

Danke an Anja für die Inspiration dazu.

Bildquelle: pixabay

Ich bin Svenja,

die bewusst im Hier und Jetzt lebt, die Natur genießt und keine Pläne mehr verschiebt seit ihr Mann diese Welt verlassen hat.

Ich bin Wegbegleiterin und Mutmacherin, die Menschen in Trauer-, Trennungs- und Umbruchsphasen dabei begleitet wieder neu in ihre Lebendigkeit zu kommen.

 

Du bist in schweren Zeiten nicht alleine.

Ich gehe ein Stück des Weges mit dir.