Suizid – DIE Frage nach dem Warum

Ein komplexes Thema

Das große Warum nach einem Suizid. Ein komplexes Thema, das ist mir sehr bewusst und ich habe gar nicht den Anspruch hier alles umfassend und detailliert zu schreiben. Das Warum ist sicher so vielfältig wie es Fälle gibt und immer individuell und doch gibt es Gemeinsamkeiten. 

 

Ich möchte betonen: Ich bin keine Fachkraft zu diesem Thema. Ich bin einfach nur eine junge Frau, die sich schon viel damit beschäftigt hat.

Krebs der Seele

Depressionen und Suizid liegen nah beieinander. Ein Freund sagte mir einmal, Depressionen sind der Krebs der Seele. Ich finde diesen Ausdruck sehr passend. Dieser Krebs zerfrisst die Seele, macht kraftlos und kann zum Tod führen.
Ich kenne auch Geschichten, in denen starker Liebeskummer zum Suizid geführt hat. Oder der nicht überwundene Schmerz über einen eigenen Verlust durch Tod. Manchmal ist Suizid auch ein Kurzschluss, aber ich denke eher selten. Tabletten- oder Drogeneinfluss kann in einzelnen Fällen auch eine Rolle spielen, wodurch der Mensch nicht mehr Herr seiner Sinne ist, nicht mehr er selbst, wenn er diesen Schritt geht.

Suizide & Suizidversuche

Es braucht eine unglaubliche Entschlossenheit in der Handlung aus diesem Leben zu scheiden.
Sich dagegen zu ent-scheiden.

 

Wenn statistisch ca. alle 50 Minuten in Deutschland ein Mensch durch Suizid diese Welt verlässt, alle 5 Minuten aber ein Suizidversuch stattfindet, so bedeutet das (rein statistisch), dass 9 von 10 nicht diese unglaubliche Entschlossenheit und einen funktionierenden Plan haben.
Ein Freund fragte mich erst kürzlich: Ja, aber was ist denn ein Versuch? Gute Frage! Ich weiß nicht, was die Statistik unter „Versuch“ führt. Ein paar Gedanken von mir dazu: Unter Versuch fallen sicher viele Geschichten. Geschichten von Menschen, die mit Suizid drohen und versuchen anderen damit Druck zu machen. Geschichten von Menschen, die gefunden werden, bevor sie ihre Handlung beendet haben. Geschichten von Menschen, die ihren Plan nicht im Detail zu Ende gedacht haben. Ich will auf die Methoden im Detail wirklich nicht eingehen. Das ist ein viel zu sensibles Thema, gerade auch in den Medien. Ich will hier niemandem erklären wie es funktioniert.

"Wen wollten Sie eigentlich umbringen?"

Einen sehr spannenden Gedanken las ich im Frühjahr 2018 in einer Zeitschrift, in der Dr. Martin Steinbach, Facharzt für Innere Medizin, Psychosomatik und Psychotherapie interviewt wurde. (1) Er erzählte unter anderem von Menschen, die versucht hatten sich das Leben zu nehmen. Wenn er sie in der Phase, wo sie gerade wieder zu sich kamen, aber noch nicht wieder ganz wach waren, fragte: „Wen wollten Sie eigentlich umbringen?“, haben alle spontan einen anderen Namen genannt. In Bezug auf die Geschichte meines Mannes kann ich sagen, dass Dr. Martin Steinbach recht hat.
Ist es leichter sich selbst dieses Leben zu nehmen als jemand anderen umzubringen? Liegt es an dem Bewusstsein, dass auf Mord Strafe steht und man zum einen mit dem eigenen Gewissen und der Schuld klar kommen und weiterleben müsste, mal abgesehen von einer Zeit hinter Gittern? Also das Bewusstsein, dass es das Leben hier auch nicht besser machen würde jemanden umzubringen, vielleicht nur anders schlimmer? Ich weiß es nicht. Das sind alles nur Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Es ist so komplex und wir können in andere Menschen nicht reinschauen und reinfühlen.
Dr. Martin Steinbach sagt, der Patient wolle oft beim Suizid jemand anderen umbringen, traue sich aber nicht, weil er da nicht schuldig werden wolle. Oft haben seine Patienten aber eine große Wut auf jemanden. Diese destruktive Energie, diese Wut und Aggression richtet man dann aber nach innen, auf die eigene Person – bis hin zum Suizid.
Ein Aspekt von Suizid kann in diesem Fall auch sein, dass der-/diejenige denkt: Wenn ich diesen Schritt gehe, dann begreifen sie endlich, was sie mir angetan haben/wie es mir ging/wie wichtig ich war usw.
Weiter spricht Dr. Martin Steinbach von narzisstischer Wut: Man fühlt sich zu wenig geliebt oder anerkannt, nicht genügend bewundert. Der Gedanke werde zwingend: Weil ich versagt habe, muss ich mich jetzt selbst töten. Diese narzisstische Wut sei heute bei Suizidversuchen noch häufiger als die von außen nach innen gerichtete Wut. Die narzisstische Wut nehme extrem zu, weil der Narzissmus in der Welt um sich greife und gefördert werde. 

 

Quelle: Ethos. Bedeutungsvoll leben. Ausgabe 11/2017. 34. Jahrgang. Schwengeler Verlag AG. Seite 18 – 25.

Verzögern JA - Verhindern (eher) NEIN

Ein ganz wichtiger Punkt in Bezug auf die Betroffenen sei noch gesagt, bevor ich auch auch auf die Angehörigen eingehen möchte.


Wenn jemand wirklich plant diese Welt aus eigenem Entschluss für immer zu verlassen, dann kann man es vielleicht verzögern, aber nie verhindern.


Das weiß ich aus mehrfacher eigener Erfahrung und aus vielen Gesprächen mit Gleichgesinnten.

Hoffnung stirbt zuletzt

Klar hoffen die Angehörigen meist bis zum letzten Augenblick und wünschen sich das Steuer rumreißen zu können, der- oder demjenigen helfen zu können. Das ist meiner Meinung nach auch gut so, denn ohne die Hoffnung würden auch die Angehörigen untergehen und die Kraft verlieren. Die Hoffnung ist eine wichtige tragende Kraft.
Angehörige, besonders sehr nahestehende Angehörige, brauchen meist schon vor dem Todestag viel Kraft. Und dann müssen sie diesen Marathon noch weiterlaufen. Alles mögliche regeln. Sie mobilisieren auch noch die letzten Kraftreserven. Das ist vergleichbar damit, wenn der Partner an einer schweren körperlichen Krankheit stirbt. Genau deshalb ist es so wichtig, dass Angehörige und Trauernde sich Hilfe holen, bevor die Kraft ausgegangen ist.

Sich Hilfe holen

Letztlich beginnt es immer mit dem eigenen Wollen und der eigenen Kraft.
Das gilt für den (an der Seele) Kranken, für Angehörige und auch für den/die Trauernde.
Die gute Nachricht ist: Man kann sich Hilfe holen, man muss nicht alleine kämpfen. Jede/r ist anders und findet auf andere Weise und in eigenem Tempo einen Weg und das ist vollkommen in Ordnung. Jede Situation ist individuell und anders.
Liebes Umfeld: Ratschläge können auch Schläge sein. Sie sind sicher oft gut gemeint, aber gut gemeint ist eben nicht gleich gut gemacht.

 

Ich schreibe euch im Folgenden eine kleine Liste auf, für Betroffene und Angehörige und möchte euch ermutigen euch Hilfe zu holen. Am besten präventiv.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Mein Mann und ich haben uns Hilfe von verschiedenen Stellen geholt und das tut mir heute so gut, weil ich für mich einfach weiß, dass ich alles versucht habe und alles getan habe, was ich für richtig gehalten habe. Das ist kein „Wären wir doch … Hätten wir doch …“ Ok, es hat an dem Ausgang der Geschichte nichts geändert. Aber es hat in mir ganz viel verändert, ich habe noch so viel verstehen dürfen. Und ich hatte gleich nach seinem Tod auch Anker und Halt, vertraute Adressen.

 

Folgende Liste möchte ich euch an die Hand geben

  • Hausarzt
  • Psychologe/Psychiater
  • Klinikaufenthalt/Kur/Reha
  • Heilpraktiker für Psychotherapie
  • Beratungsstellen (Caritas, Diakonie)
  • Selbsthilfegruppen (vor Ort, online)
  • Selbstständige Therapeuten
  • Notfallseelsorge
  • Trauerbegleitung
  • Bücher und Internet: Sich selbst informieren und damit beschäftigen
  • Gute Freunde und Familie oder: Das persönliche Netzwerk

Noch ein kleiner Tipp meinerseits: Lasst euch nicht abwimmeln. Insistiert und macht deutlich, dass es dringend ist. Wenn der Betroffene keine Kraft mehr hat, nehmt mit seiner Einwilligung den Telefonhörer für ihn in die Hand. Begleitet ihn/sie. Redet auch selbst mit den Ärzten, Beratern, Therapeuten. Macht wirklich deutlich wie die Situation ist, beschönigt nichts und redet auch über eure eigenen Gedanken, über Ängste und Nöte, die da sein mögen. Angehörige fallen leider manchmal gar nicht auf; daher gebt euch selbst eine Stimme. Auch ihr seid wichtig und dürft euch Hilfe holen! Siehe dazu auch die Buchtitel.

Bücher & Links

BÜCHER


Wenn der Mensch, den du liebst, depressiv ist. – Laura Epstein Rosen/Xavier Francisco Amador


Mit dem schwarzen Hund leben. – Matthew und Ainsley Johnstone


So nah und doch so fern. Mit depressiv erkrankten Menschen leben. – Jeannette Bischkopf

INTERNET


Beratung für suizidgefährdete junge Menschen [U25] (caritas.de)
U25 ist eine deutschlandweite Online-Beratung für suizidgefährdete junge Menschen

Suizidalität – Stiftung Deutsche Depressionshilfe (deutsche-depressionshilfe.de)
Informative Website mit weiterführenden Links
– zu professioneller Hilfe für suizidgefährdete Menschen
– zu weiterführenden Adressen für Suizid-Trauernde
– zu weiteren Informationen im Internet (unter Links und Literatur)

TelefonSeelsorge: 0800.1110111 | 0800.1110222 | 116.123 –  Anruf ist kostenfrei
Onlineseelsorge
In 25 Städten Vor Ort-Beratung

Bildquelle: pixabay

Ich bin Svenja,

die bewusst im Hier und Jetzt lebt, die Natur genießt und keine Pläne mehr verschiebt seit ihr Mann diese Welt verlassen hat.

Ich bin Wegbegleiterin und Mutmacherin, die Menschen in Trauer-, Trennungs- und Umbruchsphasen dabei begleitet wieder neu in ihre Lebendigkeit zu kommen.

 

Du bist in schweren Zeiten nicht alleine.

Ich gehe ein Stück des Weges mit dir.