Trauer und neue Liebe

Sichtweisen

Es gibt viele Ideen, Ratschläge, Konzepte und Vorstellungen zu diesem Thema. Es gibt das Konzept des Trauerjahres oder allgemeiner die Idee, man habe sich Zeit zu lassen nach dem Verlust eines Partners. Je nach eigenen Erfahrungen des Gegenübers wird es eine Ermunterung oder ein Abraten zu einem neuen Partner geben. Es gibt auch die Idee, dass eine neue Liebe nach dem Verlust des Partners eine Frage des Alters sei. Die Besorgnis um den eigenen Ruf oder den Ruf der Familie kann eine Rolle spielen. So viele Menschen es gibt, so viele individuelle Geschichten gibt es auch. Wer mag wirklich sagen, was richtig oder falsch, was gut oder schlecht ist, an was mag die Normalität gemessen werden. Kann Liebe denn falsch sein, wenn wir sie richtig verstehen? Letztlich kann doch nur ich wirklich in mich hineinschauen und -fühlen und meiner Intuition folgend meinen Weg gehen. In der Trauer. In der Liebe. Und wenn Trauer und neue Liebe aufeinandertreffen.

Glaube an die Liebe

Nachdem mein Mann diese Welt verlassen hatte, habe ich den Glauben an die Liebe behalten. Da Liebe in meiner Vorstellung grenzenlos ist, war für mich im Herzen eine neue Partnerschaft nicht ausgeschlossen. Mir war klar, dass dort genügend Liebe und Platz für meinen Mann und für einen neuen Partner ist. Genauso wie dort auch genügend Raum für die Liebe zu meiner Familie und zu Freunden ist. 

Ein neuer Partner

Ein neuer Partner sollte mich und meine Geschichte annehmen können und es sollte auch Platz für meinen Mann bleiben. Mein neuer Partner hat mir hierfür symbolisch den wunderschönen Kettenanhänger geschenkt: Ein großes Herz aus zwei Hälften, in dessen Mitte ein kleines goldenes Herz ist. Er schenkte es mir mit der Interpretation, dass dieses kleine Herz symbolisch für meinen Mann stehe, der immer einen Platz in unserer Partnerschaft und insbesondere in meinem Herzen behalten dürfe. Die großen Herzen = Wir bilden eine feste Einheit und umschließen das kleine Herz.
Auch meine Trauer braucht Raum und Verständnis in der neuen Partnerschaft. Vielleicht ein Leben lang. Die Phasen mögen kürzer werden und die Trauer mag sich verändern, sie mag sich möglicherweise zu einem liebevollen, freudigen Gedenken wandeln. In welcher Form auch immer wird sie mich, mein Leben und damit auch eine neue Partnerschaft langfristig beeinflussen. Im besten und schönsten Fall entsteht genau dadurch viel mehr Tiefe und Verbundenheit zwischen zwei Herzen. Es können Themen besprochen werden, die nur wenige Menschen meiner Altersgruppe beschäftigen. Dadurch kann man letztlich auch gemeinsam wachsen und reifen. Raum und Zeit für diese Art der Kommunikation war und ist mir sehr wichtig.

Herauforderungen

Ebenso ist mir mein Freiraum, das richtige Maß von Nähe und Distanz wichtig. Ich merke, dass ich das nochmal ganz neu ausloten lernen darf. Meine Wohnung ist wie meine Festung geworden: Der letzte Raum, der mich materiell noch mit meinem Mann verbindet. Diese Festung für einen neuen Partner zu öffnen, ist gar nicht so einfach ohne die Mauern niederzureißen. Auch hier braucht es viel Feingefühl, viel Geduld, viel gute Kommunikation und Verständnis. Es gibt auch andere Orte und Räume, wo Treffen möglich sind.

Für mich ist es auf der einen Seite schwieriger geworden mich wirklich zu öffnen, mich auch seelisch vor einem neuen Partner auszuziehen und mich zu zeigen. Da schwingt nun auch die Angst vor einem erneuten plötzlichen Verlust mit, die Angst nochmal den Boden unter den Füßen zu verlieren. Auf der anderen Seite erlebe ich gerade durch die Verlusterfahrung jeden Moment im Hier und Jetzt mit meinem neuen Partner viel bewusster, viel intensiver, viel lebendiger. Auch facettenreicher, in der ganzen Bandbreite der Gefühle. Mir ist bewusst, dass ich als junge Witwe mit meinem Gefühlschaos sicherlich keine einfache Partnerin bin. Umso dankbarer bin ich für den neuen Mann an meiner Seite, für seine Liebe, sein Verständnis, für all den Halt und gleichzeitig die Freiheit und Zeit, die er mir gibt.
Das Erleben des plötzlichen Verlustes hat in mir das starke Bedürfnis nach finanzieller, beruflicher und räumlicher Eigenständigkeit als Frau ausgelöst. Man könnte auch sagen: Ich habe auch in mir eine kleine Festung gebaut, um Sicherheit zu bekommen – obwohl ich weiß, dass Sicherheit letztlich immer eine Illusion ist. Ich arbeite damit im Grunde gegen mein Herz und meine Herzensträume. Denn genau das Gegenteil habe ich doch so sehr geliebt und als so erfüllend empfunden mit meinem Mann: Die gemeinsame Arbeit, ein Team sein, einen gemeinsamen Alltag leben. Es fühlt sich an als wäre dieser Herzenstraum unter Trümmern der Trauer und der Angst begraben – aber er ist noch da! Das Schöne ist, auch mein neuer Partner hat ähnliche Träume. Ich arbeite also daran die Trümmer wegzuräumen, schaue meine Ängste an und wer weiß, was die Zukunft dann für uns bereit hält. Es braucht Zeit und alles hat seine Zeit. Im Moment ist es gut so wie es ist.

Yin & Yang

Die Kurzformel für die neue Partnerschaft: Yin und Yang. Gegensätzlich und doch immer in die Mitte, nach Harmonie strebend, sich perfekt ergänzend.

Fazit

JA, man darf sich in der Trauer neu verlieben. Ohne den verstorbenen Partner damit zu betrügen oder die Liebe zu ihm in Frage stellen zu müssen und ohne aufzuhören ihn zu lieben. Ich denke, es ist alles ok, wenn es sich richtig anfühlt. Man darf natürlich gleichermaßen ohne Partner bleiben, wenn sich dies gut und richtig anfühlt. Es gibt objektiv kein richtig oder falsch, nur den Kompass unseres Herzens. Schon gar nicht gibt es einen richtigen Zeitpunkt für eine neue Liebe. Wichtig ist, nicht gegen den Kompass seines Herzens zu leben, nicht gegen sich selbst und seine Gefühle. Last, but not least lebt man für sich und nicht für die anderen oder für einen guten Ruf.

 

Mein ganz persönliches Fazit: Aus den größten Tiefen können die größten Wunder entstehen. Ich hätte fast nicht zu glauben gewagt so einen tollen Partner zu finden, nachdem ich in meinem Mann schon eine große Liebe gefunden hatte und die Messlatte damit relativ hoch hing.

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